
Es war einmal ein junger Vampir namens Victor Schattenflügel, der in einem geheimnisvollen Schloss tief in einem dunklen Wald lebte. Victor war kein gewöhnlicher Vampir; er hatte ein grosses Herz und träumte davon, das Tageslicht zu geniessen. Jeden Morgen hörte er die Vögel fröhlich zwitschern und sah die bunten Blumen im Garten, die im Sonnenlicht leuchteten. Das machte ihn traurig, denn er konnte niemals hinausgehen, ohne sich in den Schatten zu verstecken.
Eines Nachts, als der Mond hoch am Himmel stand und die Sterne hell leuchteten, beschloss Victor, dass es an der Zeit war, etwas zu verändern. Er wollte nicht länger im Dunkeln leben. «Ich werde einen Weg finden, um das Licht zu geniessen!» rief er mutig.
Mit einem kleinen Rucksack, den er mit ein paar alten Zauberbüchern und einer riesigen, selbstgemachten Sonnenbrille gefüllt hatte, machte sich Victor auf den Weg zum grossen Waldesrand, wo die Menschen lebten. Er hatte gehört, dass sie über Geheimnisse verfügten, um sich mit dem Sonnenlicht vertraut zu machen.
Als er in die Menschenstadt kam, war er schockiert. Überall waren fröhliche Gesichter, die in der Sonne lachten und tanzten. Victor fühlte sich nervös und unsicher. Wie würde die Menschen ihn empfangen? Wird sie ihn noch immer fürchten?
Gerade als er darüber nachdachte, hörte er ein fröhliches Lachen hinter sich. Es war ein kleines Mädchen namens Mia, das mit ihren Freunden im Park spielte. Victor zitterte vor Angst; doch etwas in Mias Lächeln gab ihm Mut. «Hallo! Wer bist du?» rief Mia fröhlich, ihre Augen glitzerten vor Neugier.
«Ich… ich bin Victor Schattenflügel,» antwortete er leise und zog die Sonnenbrille auf.
Die anderen Kinder erstarrten einen Moment und schauten sich an – sie hatten noch nie einen Vampir gesehen. Doch Mia lächelte weiter. «Komm! Spiel mit uns!» rief sie. Victor war überrascht. «Was? Aber ich bin ein Vampir!»
«Und ich bin ein Mensch!» lachte Mia. «Das macht doch nichts! Komm einfach!» Überwältigt von ihrem Mut trat Victor zögerlich näher. Die Kinder machten Platz, und bald spielte Victor mit ihnen Fangen.
Anfangs fiel es Victor schwer, das Spiel zu verstehen. Das Sonnenlicht schien für ihn wie ein unsichtbares Netz zu sein; jede Berührung mit den Strahlen brannte auf seiner Haut. Doch Mia half ihm, indem sie ihm Schattenplätze zeigte und gemeinsam schmiedeten sie aus Zweigen und Blättern einen kleinen Unterschlupf. «Hier kannst du spielen, ohne dich zu fürchten!» sagte sie freudig.
Die Tage vergingen, und Victor fand immer mehr Freude an der menschlichen Welt. Er half Mia und ihren Freunden beim Basteln von Drachen und beim Spielen auf dem Spielplatz. Zusammen baute er riesige Sandburgen und sie machten manchmal sogar ein Wettrennen, wobei sie immer die schnittigsten Fahrzeuge aus Kartons bastelten.
Eines Tages, während sie im Park spielten, kam eine dicke Wolke und verdeckte die Sonne. Victor sah die Veränderung in den Gesichtern seiner Freunde. «Oh nein, es ist bewölkt! Wir können nicht mehr spielen!» riefen sie. Ein Schatten fiel über Victers Herz. Was sollte er nun tun?
Doch Mia lächelte und sagte: «Wir werden einfach etwas anderes machen! Lass uns eine Geschichte erzählen!» Sie versammelten sich alle um Victor, der das grosse, alte Buch über Vampire aus seinem Rucksack holte.
Er begann, seine eigene Geschichte zu erzählen, wie er eines Tages die Sonne sehen wollte und mutig in die Menschenstadt gegangen war. Alle lauschten gespannt und protestierten, dass sie friedlich in seinem Schloss spielen könnten, während sie seine Geschichten hörten. Und so geschah es, dass die Kinder oft zu Victor kamen, um sich Geschichten von den Abenteuern der Vampire anzuhören.
Victor war überglücklich. Die Wolken waren nicht länger beängstigend, sie waren nur eine Gelegenheit, etwas Neues zu lernen. Bald bemerkte er, dass es für ihn nicht mehr wichtig war, das Tageslicht zu geniessen. Was wirklich zählte, war die zeitgenössliche Freundschaft, die er mit Mia und den anderen Kindern geteilt hatte. Ihre Herzen schienen hell zu leuchten, egal ob die Sonne schien oder die Wolken zogen.
Als Victor schliesslich wieder nach Hause ging, wusste er, dass er, selbst wenn die Dämmerung hereinbrach, die Sonne stets in seinem Herzen tragen würde. Vor allem, weil er gelernt hatte, dass Freundschaft und Vertrauen Brücken zwischen verschiedenen Welten bauen können. Und so lebte Victor Schattenflügel glücklich und zufrieden in seiner dunklen Welt, während er jede Nacht von den Lichtern der Freundschaft träumte.